Erinnerungen I

A woman, especially, if she have the misfortune of knowing anything, should conceal it as well as she can.

~ Jane Austen

Vor Jahren…

Diese Ecke war gut. Trocken und nicht zugig. Das Mädchen kauerte sich noch etwas mehr hinein und zog die Beine an ihr Kinn. Außerdem war diese Ecke schön dunkel und abgelegen. Man würde sie ganz sicher nicht finden. Die Tür zu dem heruntergekommenen Schlafsaal in dem Kinderheim öffnete sich und das zehnjährige Mädchen konnte unter dem Bett, neben dem sie in ihrer Ecke kauerte, schwach erleuchtete Stiefel erblicken. Kurz darauf schlurften auch Frauenschuhe hinterher.

“Sind das alle Mädchen?” tönte die Männerstimme in einem tiefen Bariton, die danach klang als wäre sie es gewöhnt Befehle zu erteilen.

“Natürlich, wertester Herr. Würd mich doch nie traun was vor Euch zu versteckn, Herr.” umschmeichelte die Leiteren des Hauses, oder wie man es auch immer nennen wollte, direkt den edlen Herren plump.

Sie drückte sich direkt noch mehr an die Außenwand. Hinter der Wand auf den Straßen herrschte dieser Tage regens Treiben, denn ein Fest stand an und jeder war damit beschäftigt Vorbereitungen zu treffen. Nun ja, fast jeder. In diesem Haus war es ein Tag wie jeder andere, der von harter Arbeit und dünner Suppe geprägt war. Es war einige Augenblicke still, dann gingen die Stiefel festen Schrittes weiter in das Zimmer hinein. Das Mädchen hörte wie die anderen Kinder Platz machten, sie selber schlang die dürren Ärmchen um ihre Knie, in der Hoffnung, dass es sie vielleicht unsichtbar machen würde. Sie hatte viel gehört, was mit Mädchen ihres Alters passieren würde wenn sie “abgeholt” wurden. Immer weiter kamen die Stiefel in das Zimmer und damit in das Sichtfeld des Mädchens. Sie vergrub den Kopf in der Mulde zwischen Körper und Knien. Sicher würde man sie nicht sehen wenn sie niemanden sah.

“Hm.” Immer lauter wurden die Schritte, dann verstummten sie. Das Mädchen zitterte und traute sich nicht den Kopf zu bewegen. “Ich nehm diese.”

“Aber wertester Herr die is nix für nen Herrn wie Euch. Die is stumm und dumm. Schaut Euch besser weiter um, ne.”

“Ich nehme diese!” Die Stimme polterte durch den Raum.

“Aber…wie Ihr meint, Herr. Aber sacht nich ich hab Euch nich gewarnt, nech.”

Das dünne Ärmchen von dem Mädchen wurde von den wulstigen Fingern der Leiterin gepackt und sie wurde nach oben in einen wackligen Stand gezerrt. Sie traute sich immer noch nicht zu schauen, sondern presste die Augen zu.

“Schau mich an, Mädchen.” Sie hielt die Augen geschlossen.

“Tu was der Herr sacht, Drecksding.”

Das Mädchen öffnete langsam die Augen und starrte auf die Stiefelspitzen des Herren. Edle Stiefelspitzen, die glänzten, so poliert war das feine Leder. Einen Augenblick später zuckte sie zusammen als kräftige wenn auch wohl gepflegte Männerhände sie an ihrem Kinn packen und das Gesicht anhoben, so dass sie dem Mann unweigerlich ins Gesicht schauen mussten. Ein Gesicht, welches sie nie wieder vergessen sollte. Ein Gesicht, welches sie viele Jahre noch sah, wenn ihr Kinn nach oben geruckt wurde, da eine Dame nur den Blick jedoch nicht das Kinn senkt.

“Doch. Ich nehme diese. Hab keine Angst, Mädchen.”

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“Man sagt Euer Lieblingswort sei Verrat,” sagte sie zögerlich.

“Verrat? Aber nein. Nein. Es ist Grausamkeit. Ich habe immer empfunden es klingt irgendwie – edler. Ich habe nicht die Absicht ihre Vorurteile zu nehmen. Im Gegenteil. Ich möchte, dass sie all ihre eherne Ansichten, Ziele und Tugenden behalten und dennoch nicht in der Lage sind sich zu beherrschen. Ich warte stets auf die Erregung, wenn ich ihnen zuschaue wie sie all das, was ihnen von größter Wichtigkeit ist, verraten,” antwortete die Andere mit einem ruhigen süffisanten Schmunzeln während sie an ihrem Wein nippte.

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Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. Die, die am meisten die Liebe verdienen, werden von ihr am seltensten glücklich gemacht,” hauchte sie leise. Er vergrub sein Gesicht an ihren Handflächen, sie spürte wie seine Tränen ihren Ballen herunterrannen.

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Hart schlug ihre Wange auf dem kalten Stein des Bodens auf. Dann wurden ihre Arme nach hinten gezogen so dass de Gelenke ihrer Schultern knarzten und drohten nachzugeben. Sie biss die Zähne zusammen als der Schmerz wie eine Explosion ihre Arme hoch wanderte.

“Wer? WER?” Die Stimme des Mannes bellte sie an unter der Vermummung seines Mundes während er ihr sein Knie in den Steiß rammte und ihre Arme erneut nach hinten zog. Ihr Gesicht verzog sich unter der neuen Welle des Schmerzes, ihr Atem ging nur noch stoßweise. Nicht schreien.

“Es liegt nicht an mir Euch dieses zu offenbaren..” presste sie mühsam in dem höflichsten Ton hervor, den sie im Stande war an den Tag zu legen während ihr Körper in dieser schmerzhaften Position gehalten wurde. Die dreckigen schwieligen Finger des Mannes griffen in ihr hellblondes Haar, der harte Griff schob die zahlreichen Nadeln ihrer kunstvollen Frisur stechend in ihre Kopfhaut. Die Augenlider über dem dunklen Blau schlossen sich. Nicht schreien. Nur abwarten.

“Wir werden es noch erfahren…” drohte die Stimme, dann wurde ihr Kopf wieder auf das Pflaster gedrückt. Die kleinen feinen Steinchen pressten sich in ihre weiche Wange während sie die Zähne fest zusammen biss. Dann jedoch ließ sie der Mann unvermittelt los und zog sich von ihr zurück. Mit einem tiefen Atemzog strömte die kühle muffige Luft der Gasse zurück in ihre Lungen.

Es kümmerte in der Stadt keinen wirklich, wenn einer der zahlreichen mehr oder minder erfolgreichen Kriminellen erstochen in einer Gasse aufgefunden wurde. Das Einzige, was an jenem kühlen Morgen die Wache, welche das Unglück hatte in den Bettelgassen der Stadt ihre Runden drehen zu müssen, irritierte, war die Haarnadel von guter Qualität welche in dem einen Augen der Leiche steckte und der kleine Maiglöckchenzweig welcher zwischen den kalten versteiften Fingern des Opfers steckte. Details, welche sich nie in dem Bericht der Wache wiederfinden würden…

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WORTE…

“Man muss sich sehr glücklich schätzen, euch zu kennen, wisst ihr das? Ich verdanke euch mehr, als ich sagen kann.”“Eure Musik ist niemals aufdringlich. Das wisst Ihr.”

“Ihr seid bleich und kühl wie die Monde.”

“Ihr seid die mit Abstand gefährlichste Frau, die ich kenne… Niemand würde eure Dolche kommen sehen. Auch ich nicht.”

“Wie kommt es, daß ich immer das Gefühl habe, daß sich unter deiner Seide eine scharfe Klinge verbirgt, bereit, zuzustechen?. Du weißt, daß Du sehr gefährlich für mich sein kannst, wenn Du erst … Dinge über mich weißt.”

“Niemand soll je bestreiten, dass Ihr vernünftiger seid als Ich.”

“Noch dazu… verbindet uns beide eine unwahrscheinliche Liebe für die Kunst des Tanzes.”

“Denn keiner Eurer Besuche und keine Handlung ist ohne Grund.”

“Ihr seid gut informiert, scheint mir…”

“Ich muß Euch also sagen: Ihr seid mir gegenüber deutlich im Vorteil. Aber ich stelle fest, daß mich daß bei Euch nicht stört.”

“Zu behaupten, Euch zu kennen wäre ein Hohn an die Kunst des Tanzes…”

“Um euch eure Kälte für ein paar Augenblicke zu nehmen – oder sie mit euch zu teilen, wenn euch das lieber ist.”

“Nicht nur Ihr schätzt Unterhaltungen mit ihr. Sie versteht es Gespräche zu führen.”

“Wir wissen beide, dass ich für eure Tänze nicht gemacht bin.”

“Ihr seid seine perfekte Kreatur.”

“Wenn ich zu euch komme, habt einen Wunsch, der nur für euch ist.”

“Ich habe keine Wünsche nur für mich.”

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Sie wusste, der Tag würde kommen wo der Tribut gefordert werden würde. An diesem Tage würde sie in ihrem Blut liegen, entweder das Blut des Geschneidenwerdens oder das Blut ihres Körpers. Es war nur eine Frage der Zeit. Bis dahin hieß es weiter machen. Immer weiter, immer aufrecht, immer lächelnd.