Und wenn Du lange in einen Abgrund blickst…

“Better be without sense than misapply it as you do. ”

~ Jane Austen

 

Die kalte Meeresluft blies ihr ins Gesicht. Die feinen salzigen Tropfen der entfernten Gischt wurden in den Nächten, wenn der Wind von der See auf Dolchsturz wehte, teilweise bis hinauf zu der Brüstung getragen, an der sie nun stand und legten sich jetzt auf die weißen Hautstelle, welche nicht von der edlen Kleidung überdeckt wurden. Sie schloss die Augen und atmete die erfrischende Kühle tief ein, verschwendete keinen Gedanken daran, dass die salzige Geschicht hoch wahrscheinlich ihr Kleid ruinieren würde. Nur langsam beruhigte sich ihr Herzschlag, kühlten ihre erhitzten Wangen ab. Wenig brachte sie dieser Tage noch in einen solchen Aufruhr, wenig brachte ihre Emotionen überhaupt noch in eine Unordnung. Das feine Bild der weiblichen Perfektion, welches ihre Maske zeichnet, war schon vor langer Zeit zu einem großen Teil von ihr selbst geworden. Doch warum sollte sie dieses stören? Sie gab jenen Aufmerksamkeit, die sie verdienten, jenen Sanftheit und Hilfe, die es benötigten, jenen Kühle, die es nicht wert waren Wärme zu spüren. Sie eröffnete Wege, zog Schleier zurück, baute Brücken, öffnete Augen und knüpfte Fäden. Sie gewann Einfluss und Freundschaft doch vor allem – und das war jenes was die Geschicke der Welt bedeutete – Respekt und Loyalität.

Und so war jenes, welches auch heute noch ihren Zorn entflammte, wenn Respekt und Loyalität Personen geschenkt wurden, welche sich dieses nicht verdienten. Personen, welche betrogen, welche ausnutzten, welche ihr Können und ihren Geist auf eine pervertierte Art einsetzten – um ihre Eitelkeit zu streicheln oder weil sie die Grausamkeit liebten. Es machte sie zornig wenn Personen bevorzugten ihre Augen geschlossen zu halten, sich, auch wenn sie sich dessen bewusst waren, an den Fäden eines Marionettenspielers nach seiner Melodie tanzend führen ließen – führen ließen in ihren eigenen persönlichen Abgrund. Es sollte sie nicht derart erzürnen. Sie wusste dieses. Jeder war seiner Geschicke eigener Schmied und jene, die ihre Hilfe nicht annehmen wollten, sondern lieber zu dem Abgrund tanzen wollten, mit den Augen geschlossen und das Gesicht gen Himmel gereckt, hatten nun diesen Weg gewählt. Manch einer lächelte über das vor Schreck verzerrte Gesicht und die aufgerissenen Augen, wenn der letzte Schritt über den Abgrund getan war, wenn die Hand sich hilfesuchend ins Leere reckte. Es war nicht der Marionettenspieler, der dann die Hände ergriff und sanft wieder festen Boden unter die Füße des Tänzers brachte, ihm die Haare aus dem Gesicht strich und die Augen zärzlich öffnete. Sie und die Ihrigen waren es – für Respekt und Loyalität.