What is past is prologue
Glatt, rau, glatt, rau, glatt, rau…die Fingerkuppen glitten über das steinerne Mauerwerk, als sie die ausgetretenen Stufen tiefer in die alte Bibliothek nahm. Draußen schien bereits der volle Mond doch hier, in die Katakomben des Colleges, drang das kühle Licht nicht.
“Oh, Lady Blight!”
Olivia zuckte zusammen und hielt inne. Mit einem Lächeln grüßte sie, wenn auch überrascht, die junge Frau, die aus den Tiefen just hinauf kam.
“Mary! Was macht Du um diese Uhrzeit noch außer Haus? Es ist seit zwei Stunden Ausgehsperre und Du solltest längst im Bett sein. Und was machst Du in DIESER Bibliothek, Mädchen?”
Die junge Frau errötete ertappt und wrang die Finger ineinander.
“Ich habe die Zeit vergessen, Lady Blight. Sie hatten von dieser Schrift von John Dee erzählt und ich wollte sie mit eigenen Augen sehen.”
Olivia musste sacht schmunzeln. Auch wenn sie eigentlich der jungen Dame eine Standpauke halten müsste, so war es ihr wirklich nicht fremd, derart die Zeit über faszinierende Texte zu vergessen.
“Mhm. Dann jetzt aber schnell zurück nach Girton. Deine Eltern würden mir eine schöne Vorhaltung machen wenn sie mitkriegen würden, wo Du Dich nachts herumstreibst und was Du liest weil Deine Dozentin Dir Flusen in den Kopf gesetzt hat. Du kannst froh sein, dass Du überhaupt hier sein darfst, Mary. Wir sollten ihr fortschrittliches Denken nur nicht zu sehr strapazieren, meinst Du nicht?”
Erneut errötete die junge Frau und nickte eifrig, allerdings legte sich ein erleichtertes Lächeln auf ihre Lippen.
“Ja, natürlich, Lady Blight. Ich weiß eine Abkürzung und bin schnell und ohne dass mich jemand sieht wieder in Girton und im Bett. Ich bin schon unterwegs.” Mary knickste flüchtig und ging dann bereits mit schnellen Schritten die Treppen hinauf.
“Du wirst KEINE Abkürzung nehmen, Mary, sondern im Licht und zwischen Menschen gehen. Nicht, dass Dir etwas passiert. Und…eine gute Nacht, Mary.”
Schmunzelnd schüttelte Olivia zu sich selber den Kopf. Dann atmete sie tief durch und nahm die Stufen weiter hinab. Der Geruch der alten Bücher und Schriften begann sie zu umfangen. Ein Geruch, der ihr stes ein wohliges und doch aufregendes Gefühl vermittelte – und so sollte es auch immer bleiben.
“Ich sehe, Ihr seid immer noch nicht weiter mit Euren Recherchen, Lady Blight.”
Aus ihren Gedanken gerissen, zuckte Olivia hart zusammen. Die Schreibfeder glitt aus ihrer Hand und fiel mit einem Klackern auf den Holztisch.
“Verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken.” Der Unbekannte neigte angedeutet sein Haupt, auf seinen ernsten Zügen lag jedoch keinerlei erkennbare Regung der Entschuldigung.
“Dann hättet Ihr mich nicht einfach so unvermittelt ansprechen sollen, Mister…” die Schärfe in ihrer Stimme nahm ab und wurde nachdenklich. “Mir scheint, ich habe Euren Namen vergessen, Mister.”
“Nein, habt Ihr nicht, Lady Blight.”
“Habe ich nicht?”
“Nein, wir wurden einander bisher nicht vorgestellt.”
Olivia blinzelte irritiert. Ihre Hand schob sich vorsichtig, in der Hoffnung ungesehen zu bleiben, über den Tisch zur ihrer Schreibfeder. Die einzige Waffe, der sie aktuell habhaft werden konnte.
“Habt keine Sorge, ich werde Euch nicht schaden.”
Ihre Finger ließen direkt von der Wanderung zur Feder ab. All ihre Sinne schrieen ihr eine Warnung entgegen doch wie stets obsiegte ihre Neugier.
“Das ist beruhigend zu hören. Dennoch wäre ich erfreut, würden Sie mir Ihren Namen verraten und Ihr Anliegen.”
“Mein Name interessiert Euch für diesen Moment nicht, Lady Blight.” Seine dunkle Stimme schien in ihrem Kopf wiederzuhallen, ein harter Blick lag in seinen fast schwarzen Augen.
“…Ihr Name interessiert mich für diesen Moment nicht.”
“Ich bin gekommen, um Euch zu prüfen.”
0 comments